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REVIEWS



Vier Fliegen auf grauem Samt   

Vier Fliegen auf grauem Samt
    
Original: 4 mosche di velluto grigio   (Italien / Frankreich, 1971)
Laufzeit: 97 Minuten (PAL)
Studio: Retrofilm
Regie: Dario Argento
Darsteller: Michael Brandon, Mimsy Farmer, Bud Spencer, Jean-Pierre Marielle, Oreste Lionelli u.v.a.
Format: 2.35:1 Widescreen (16:9)
Ton: DD2.0 Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, alternative Szenen
Preis: ca. 14 €
Wertung: 3-/ 4+/ 4 (Bild/Ton/Extras)


"Verfolgungswahn"

Der Abschluss von Dario Argentos so genannter Tier-Trilogie ist bereits urbane Legende unter Fans des Italo-Genres. Aufgrund rechtlicher Differenzen zwischen Argento und dem produzierenden Studio Paramount ist der seinerzeit nicht unerfolgreich gelaufene Film bisher nie offiziell für den Heimvideomarkt erschienen - weder auf Super-8, VHS oder auf DVD. Wer Glück hatte, konnte den Film mal auf dem ein oder anderen Filmfestival erheischen, da ein paar Filmsammler-Kinokopien noch im Umlauf sind. Ansonsten durfte man den dritten Film Argentos nach “Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe” und “Die neunschwänzige Katze” höchstens als besonders schwammiges Bootleg-Tape aus Frankreich, Australien oder sonstwoher beschauen. Auch diese recht hübsch aufgemachte DVD von Retrofilm ist leider kein offizielles Release - dafür aber sicherlich das Beste, was derzeit von dem Film zu haben ist (mehr dazu unten).
“Vier Fliegen auf grauem Samt” verdient aber tatsächlich den Hype, der um den seltenen Film gemacht wird. Für Argento stellt er eine endgültige Wende dar, da er sich hier stilistisch erstmals in sein eigenes Fahrwasser begibt und sich deutlich von den bis dahin zelebrierten klassischen Giallo-Inszenierung absetzt. Seltsame Perspektiven, die visuelle Manipulation des Zuschauers und eine brütende Atmosphäre bringen den Film förmlich zum Kochen. Auch inhaltlich schleudert Argento seinen “Opfern” so einiges an inhaltlichen Motiven um die Augen, die bei einer genaueren Betrachtung immer noch viel Diskussionsstoff hergeben. Im Zentrum stehen dabei natürlich zwei klassische Argento-Themen: Sexualität und der gewaltsame Tod. Für den jungen Drummer Roberto (Michael Brandon) gibt’s da natürlich erstmal keinen Zusammenhang. Erst als er von einem mysteriösen Mann verfolgt zu werden scheint, beginnt sich der Wurm für ihn zu drehen. Bei der Jagd nach dem seltsamen Verfolger, den er schließlich in einem verlassenen Theater stellt, passiert ein Unfall. In Folge einer Rangelei ersticht Roberto den Mann - und wird dabei von einer maskierten Person fotografiert! Fortan erhält der Musiker anonyme Briefe und Anrufe, die ihn immer wieder an die Tat erinnern. Aufgewühlt und an seinem Verstand zweifelnd, berichtet er seiner Frau Nina (Mimsy Farmer) von seinem Erlebnis, die ihn ebenfalls für leicht verrückt hält. Schließlich organisiert sich Roberto die Hilfe eines schwulen Privatdetektivs (Jean-Pierre Marielle) und seines alten Freundes “Gott” (großartige Nebenrolle für Bud Spencer), um dem makaberen Erpresser auf die Schliche zu kommen. Doch schon bald gibt es weitere grausame Todesfälle in Robertos Umfeld.
Erstaunlicherweise entpuppt sich “Vier Fliegen auf grauem Samt” als definitiv humorvollster (!) Argento-Film inklusive eines trotteligen Postboten. Neben dem herrlich schwulen Detektiv Arrosio sind Robertos Kumpel “Gott” und dessen Kompagnon “Der Professor” absolut grandiose Sidekicks, die satirische Seitenhiebe in Richtung Glauben und Gesellschaft austeilen. Das geheime Treffen des Trios auf einer Bestatter-Messe ist dabei wirklich ein besonderer Knüller. ***SPOILER*** Zudem bringt “Vier Fliegen” die zentralen Mechanismen der Vorgängerfilme - technisch manipulierte Wahrnehmung und wissenschaftliche Theorie (wenngleich aus heutiger Sicht vollkommener Stuss!) - hervorragend zusammen. Leider wird das hochinteressante Motiv des Killers - eine Mischung aus fatalistisch erotisierten Tötungsfantasien und krankhaftem Ödipus-Komplex - aber bei weitem nicht ausgereizt. Hier hätte Argento noch vor “Profondo Rosso” wirklich ein zeitloses Meisterwerk schaffen können. Dafür werden bereits einige Kniffe aufgezeigt, die später noch einmal im größeren Stil in “Tenebrae” ihre Verwendung finden werden. ***SPOILER ENDE***
Die größte Schwachstelle des Films bleibt allerdings das unausgewogene Tempo. Hier wird zu viel Zeit mit unwichtigen und ganz offensichtlichen roten Heringen vertrödelt. Hinzu kommt, dass einige Sequenzen einfach zu lang geraten sind. Dies liegt aber auch an dem integralen Charakter der auf dieser DVD vorliegenden Fassung, die sich aus verschiedenen Quellen bedient. Insgesamt dürfte es von “Vier Fliegen” allein drei offizielle Fassungen geben: eine Italienische, eine Französische und eine Internationale. Da bleibt nur zu wünschen, dass es vielleicht doch einmal eine restaurierte und vom Regisseur korrekt bearbeitete Fassung geben wird, denn der Film ist es wirklich wert.

BILD

Vier Fliegen auf grauem Samt

Der anamorphe Widescreen-Transfer (2.35:1) basiert auf unterschiedlichen Quellen, wobei der “Haupttransfer” von einer alten deutschen Kinokopie stammen dürfte. Mindestens aus zwei weiteren Bootleg-Quellen hat man sich aber anscheinend bedient, um die Fassung “vollständig” zu machen. Diese Einschübe sind in ihrer Qualität deutlich schlechter und tatsächlich nur auf VHS-Bootleg-Niveau. Das “Basis-Material” ist vergleichsweise passabel, aber natürlich von Alterserscheinungen vollkommen durchzogen. Kratzer, Bildpunkte und Spratzer sind deutlich zu sehen und lassen einen klar sehen, dass hier eine Kinokopie als Vorlage herhalten musste. Die Farben sind entsprechend matschig und ausgewaschen. Zudem gerät hin und wieder die Maskierung aus dem Ruder, so dass am unteren Bildrand ein Stück des oberen Bildrand zu sehen ist. Schärfe und Kontrast liegen auf VHS-Niveau. Der Schwarzlevel ist zudem sehr milchig und lässt Details vollkommen absaufen. Die Kompression bleibt allerdings stabil zusätzliche Artefakte oder Bildrauschen treten nicht auf. Als soliden DVD Transfer kann man dies nicht bezeichnen. Dennoch bietet die Scheibe im Vergleich zu kursierenden Bootlegs die bisher beste Qualität.

TON

Vier Fliegen auf grauem Samt

Der größte Coup auf der Scheibe ist sicherlich die deutsche Tonspur. Bisherige Bootleg-Tapes konnte man höchstens auf Englisch oder Französisch anhören. Der deutsche Track ist allerdings klar und leider nur mäßig von der Tonspur einer Kinokopie abgenommen worden. Der deutsche Track besitzt nämlich einen leicht unnatürlich Hall - wie als wenn man in einem kleinen Kabuff sitzen würde und den Ton aus einem Lautsprecher mit einem Kassettengerät aufgenommen hätte. Abgesehen davon sind die Dialoge gut verständlich und auch nicht zu sehr verrauscht. Etwas dumpfer fallen der englische und italienische Track aus. Dennoch klingen die Tonspuren eigentlich besser, da hier der unnatürliche Hall fehlt. Die Dialoge sind auch bei diesen Tracks immer noch gut verständlich. Wunder durfte hier natürlich auch niemand erwarten.

EXTRAS

Als Extras gibt es zwei englische Trailer zum Film sowie jeweils den originalen deutschen Trailer zu “Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe” und “Die neunschwänzige Katze”. Dazu gibt es noch aus der italienischen Fassung eine (äußerst geringfügig) alternative Schnittfassung des Finales und den Vorspann zu sehen. Beide Videoschnippsel sind in äußerst bescheidener Qualität vorhanden.

FAZIT

Sicherlich weit entfernt von einer definitiven Version ist diese inoffizielle Scheibe von Retrofilm bislang die einzige Möglichkeit, “Vier Fliegen auf grauem Samt” im Heimkino zu erleben. Das anamorphe Widescreen-Bild und die deutsche Tonspur sind die Highlights der Disc, an der Argento-phile zur Zeit sicherlich nicht vorbeikommen.



Kay Pinno