"Ausgerechnet Wolkenkratzer!"Es ist eine wirklich prächtige DVD-Sammlung. 29 Filme enthält sie. Sie ist nicht vollständig. Späte Werke des Harold Lloyd fehlen. Und dann sind da die fast 200 Stummfilme, die er heruntergekurbelt hat. Dennoch gibt die Box mehr als nur einen Überblick über das Werk des am 20. April 1893 in Burchhard, Nebraska, geborenen Komödianten. Exemplarisch präsentiert sie sein Schaffenswerk über rund zwei Jahrzehnte und stellt vor allem dem deutschen Publikum einen Filmemachermacher vor, der in der Normalität das Außergewöhnliche suchte. In den 1920-er Jahren war er in den USA ein Megastar, auch in den 1930-ern feierte er große Erfolge. Doch jenseits seiner Heimat blieb er ein Unbekannter. Dies gilt für Deutschland im gewissen Sinne bis heute. In den 1920-er Jahren fanden seine Werke in Deutschland keine Beachtung, im Gegensatz zu den Filmen Chaplins oder Buster Keatons, nach dem Zweiten Weltkrieg schmunzelte man in Deutschland lieber über Stan & Ollie als über den sympathischen Hornbrillenträger, der sich zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte und dessen große Zeit nunmehr in der Vergangenheit lag. Selbst als er Anfang der 1960-er Jahre aus einer Reihe von Kurzfilmen zwei Kompilationsfilme zusammenschnitt, die in den USA ein neues Interesse an seinen Filmen aufkommen ließ und die ihn auch außerhalb seiner Heimat bekannter machten – wie etwa in Frankreich, wo viele seiner Filme zu verspäteten Kinoehren gelangten – blieb er in Deutschland kaum mehr als eine Fußnote der Filmgeschichte. Dies änderte sich am 25. Mai 1979. „Ein himmlisches Vergnügen“ nannte das ZDF eine Sendereihe, die freitagabends zwischen Freitagskrimi und dem „Heute Journal“ eine halbe Stunde Amüsement versprach – mit den Kurzfilmen eines unbekannten, zu diesem Zeitpunkt längst verstorbenen Komikers, der in den USA eine zeitlang große Popularität genoss. Schwarzweiß-Filme im Freitagabendprogramm? Heute unvorstellbar. Die Filme, die bis November 1980 liefen, dienten allerdings auch eher als Lückenfüller. Aber sie hatten Erfolg, denn Harold Lloyd kam beim deutschen Publikum an. Er sah gut aus, er war charmant, vor allem aber hatten seine Filme Tempo. Dass das ZDF viele Filme rigoros auf 30 Minuten hinunter schnitt oder Kurzfilme zusammenfügte, die gar nicht zusammen gehörten: Geschenkt! Immerhin wurde das deutsche Publikum auf einen Mann aufmerksam, der nicht nur einfach erfolgreich war. Mitte der 1920-er Jahre war Harold Lloyd in den USA die Nummer 1! Vor Charlie Chaplin, den er lange Zeit imitierte. Lonesome Luke hieß sein Tramp-Klon, mit dem er die erfolgreiche Chaplin-Figur nachahmte – wie viele andere Schauspieler auch. Chaplin galt in den 1910-er Jahren als der erste Megastar des Kinos, da versuchten viele kleine Produktionsfirmen diesen Erfolg zu kopieren, indem sie eigene Figuren auf die Leinwand losließen – die doch nur Chaplin nachmachten. Harold Lloyd arbeitete für einen jungen Produzenten namens Hal Roach, der später zum erfolgreichsten Komödienproduzenten aller Zeiten aufsteigen sollte, doch zu diesem Zeitpunkt lebten beide mehr schlecht als recht von ihrer Arbeit. Erst nachdem sich ihre Wege zeitweise trennten, entwickelte Lloyd eine fast revolutionäre Figur: Die Figur des normalen jungen Mannes! Das klingt im ersten Moment seltsam, doch Lloyd erkannte, dass das Publikum nach einer Identifikationsfigur lechzte, mit der es lachen konnte. Das Publikum lachte über Figuren. Über den Tramp, über einen Fatty Arbuckle, über den stoischen Melancholiker Buster Keaton. Aber niemals mit einer Figur. Genau das erkannte Harold Lloyd. Er entwarf die Figur des jungen Mannes, der nur ein sicheres Leben führen will. Mit einem Mädchen, einem anständigen Job, einem bisschen Ersparten. Lloyd verpasste ihm einen Strohhut, eine runde Brille, er machte ihn zum Schwiegermuttertraum. Und eroberte das amerikanische Kino im Sturm, indem er diesen Normalo in oftmals halsbrecherische Abenteuer schickte. Lloyds Filme waren nicht selten riskante Sensationsdarbietungen. Am berühmtesten dürfte jenes Bild aus seinem „Safety Last“ sein, in dem er an einer Uhr über dem gähnenden Abgrund an der Fassade eines New Yorker Hochhauses hängt. Auch Kutschen- und Autoverfolgungen bot er. Das Publikum sollte mitleiden, mitfiebern, Angst um ihn haben – um das Happy End zu genießen. Thrill Comedy wird das Genre, das Lloyd aus der Taufe hob, heute genannt. BILDDie ältesten Filme dieser Box stammen aus den frühen 1920-er Jahren. Was will man da erwarten? Ein gestochen scharfes Bild unterlegt von DD 6.1 ? Einige Filmen wirken stark überblendet, der Zahn der Zeit hat seine Spuren hinterlassen. Wobei Laufspuren fast vollständig beseitigt werden konnten. Auch zitternde Bilder sind eher selten, alles in allem haben die Restauratoren gute Arbeit geleistet und präsentieren die Filme im bestmöglichen Bild. TONWas für den Bildtransfer gilt, gilt auch für den Sound. Das ist das bestmögliche Resultat. Leute, die Tonfilme sind über 70 Jahre alt. Dafür hat sich der Ton sogar recht gut gehalten. Offenbar wurden "Verhallungen" aus dem Ton herausgefiltert, die Sprache kommt recht klar rüber. Auch in diesem Fall muss man sagen: Besser lassen sich so alte Filme kaum präsentieren. EXTRASDie Extras sind fett. Diverse Filme werden vom bekannten amerikanischen Filmkritiker Leonard Maltin kommentiert, der als einer der versiertesten Kenner der klassischen amerikanischen Komödie gilt. Er führt den Zuschauer auch durch die üppig ausgestattete Vierstunden-Bonusdisc, deren Herzstück eine Dokumentation über das Leben Lloyds darstellt und einige wirkliche Knaller bereit hält: So ließ Lloyd Familienfeste von seinen eigenen Kameraleuten filmen. Da Lloyd (als Produzent) kein Interesse an langwierigen Honorarverhandlungen mit seiner Filmcrew hatte, zahlte er seinen Angestellten einfach zu Beginn des Jahres ein volles Jahresgehalt. Und gab es im Studio nichts zu tun, holte er sie heim. So existieren von seinen Familienfeiern professionelle Aufnahmen, wie sie selbst in Hollywood ihresgleichen suchen! FAZITDie "Harald Lloyd Edition" ist eine wirklich vorzügliche DVD-Box, die dem deutschen Zuschauer einen ihm nahezu unbekannten wahren Meister nahe bringt. Vorzüglich ist das, ganz vorzüglich! Von der Sache mit den nicht ausblendbaren Untertiteln leider abgesehen. Christian Lukas | ||||||||||||||||||||||||||||