2 Kommentare, Making of, 3 Featurettes, geschnittene Szenen, Booklet u.v.m.
Preis:
ca. 21 €
Wertung:
1-/ 2 / 1 (Bild/Ton/Extras)
"Es kam der Tag, da sägte die Säge wieder!"
Es grenzt fast an ein Wunder, doch es ist nun endgültig passiert: einer der notorischsten Filme aller Zeiten wurde aus dem Verbotsgefängnis der Beschlagnahmung befreit und darf nun offen und vor allem ungeschnitten verkauft werden: das "Texas Chainsaw Massacre" wurde in Deutschland im Kino unter dem etwas verschleiernden und nach Western angehauchten Titel "Blutgericht in Texas" erfolgreich vertrieben, bevor er Anfang der 80-er Jahre unter seinem Video-Titel "Kettensägen-Massaker" beschlagnahmt und verboten wurde.
Doch was verbirgt sich wirklich hinter dem kalkuliert reißerischen Titel? Für Horrorfans, die durch die Welle von harten Horrorschockern besonders aus Italien verwöhnt waren, zunächst mal eine herbe Enttäuschung. Alle dem Film unterstellten gezeigten Greueltaten fanden so gut wie nicht statt. Unterlegt mit einem irriterenden Soundtrack wird 80 Minuten lang eigentlich hauptsächlich geschrien und wild umhergerannt, ohne das eigentlich wirklich viel passiert oder gezeigt wird.
Aber allein die Tatsache, dass so viele Menschen (einschließlich der Jugendschützer) Regisseur Tobe Hooper auf den Leim gegangen sind, und Dinge sahen, die eigentlich nicht zu sehen sind, zeigt wie hochgradig effektiv in einem Hitchcock-mäßigen Sinn "Texas Chainsaw Massacre" wirklich ist. Aber es kommt noch besser. Gemeinsam mit seinem Co-Autoren Kim Henkel wurde der als preiswerter Schocker angedachte Film zu einem "Happy Accident" der besonderen Art, da auf (unbewusste) Weise eine derartige Reichweite von Themen angeschnitten wurde, die wohl kaum einer der Filmemacher auf dem Schirm hatte.
Oberflächlich betrachtet scheint "Texas Chainsaw Massacre" zunächst übelste Unterhaltungsgrütze zu sein: eine Gruppe von Beatniks fährt gemeinsam auf's Land, um das alte Haus eines verstorbenen Großvaters aufzusuchen. An dem heruntegekommenen Farmhaus angekommen werden die Twens von einer (Nachbars)Familie von degenerierten Inzestlern einer nach dem anderen "geschlachtet". Und hier beginnt bereits die fiese Ironie: bei der durch die Industrialisierung arbeitslos gewordenen Familie handelt es sich nämlich um Schlachter, die nun - ohne ihre Arbeit - zu Schlächtern geworden sind. Vom professionellen Töten lässt man eben nicht so einfach ab. Der Generationen-Umbruch in Amerika, die klassische Kluft zwischen einer aufgeklärten und freigeistigen Jugend der frühen 70-er Jahre und eines inzestuös konservativen, aber bereits verwesenden Familienkonstrukts des alten Amerika, Motive des Vietnamkriegs (eine junge ahnungslose Gruppe, die in den "Dschungel" kommt und darin umkommt - Hooper und Henkel feuerten (ohne es vielleicht zu wissen) aus allen Rohren ihre Gesellschaftskritik anno 1973 auf die Leinwand.
Dazu kamen auch noch die erstaunliche Kameraarbeit des Kamera-Novizen Daniel Pearl und eine unglaubliche Set-Gestaltung von Robert A. Burns, der das Haus der irren Sawyer-Familie in ein groteskes Kunstwerk aus Leichenteilen-Accessoires, Redneck-Retro-chic und verfallenem Höllenloch verwandelte.
Zusammen mit der rasanten Kaltschnäuzigkeit von einer geradezu wie beiläufig ausgeführten Gewalt wird den Zuschauern wie den Protagnisten mit einem Vorschlaghammer der Schädel zertrümmert. Visuell und audiotechnisch wird der Zuschauer dabei von dem Film genauso physisch gequält, wie die Opfer von den Sawyers. "Texas Chainsaw Massacre" will den Zuschauer selbst physisch angreifen: die verstörende Atmosphäre, der konstante Angriff auf Augen und Ohren durch eine Kakophonie aus dem irren Gebrabbel der Sawyers, dem Geschrei von Marilyn Burns und dem bis zur Unerträglichkeit quietschendem Soundtrack legen die Nerven blank.
So bleibt "Texas Chainsaw Massacre" auch heute noch ein unbequemer Film, der aber durch seine zahlreiche Facetten zu Recht zu dem modernen Horror-Klassiker geworden ist, der er nunmal eben ist. Auch wenn er sicher auf der Oberfläche der heutigen verwöhnten Generation von Horrorfans nicht mehr gerecht werden kann, ist "TCM" ein Film der reift und besonders im Kontext seiner Zeit, elementare Motive des damaligen Zeitgeschehens auf (alp)traumhafte Weise verarbeitet.
So bleibt zu hoffen, dass das Beispiel von Turbine Medien Schule macht und auch andere bei uns immer noch (zu Unrecht!) verbotene Klassiker wieder frei und vor allem ungeschnitten verfügbar werden. So darf zum Schluss auch vermerkt werden, dass Turbine erstmals in Deutschland die ungekürzte Version des Films veröffentlicht. Ursprünglich hatten die deutschen Verleiher "Texas Chainsaw Massacre" um einige Minuten gestrafft (Schnittbericht siehe hier) und sogar mit anderer Musik unterlegt, um den Film ein wenig schwungvoller zu gestalten.
BILD
Der neue anamorphe Widescreentransfer (1.78:1) dieses 16 Millimeter Blow-Up Films ist geradezu eine Offenbarung und stellt klar, wie immens wichtig die richtige Verarbeitung eines alten Films in HD sein kann. Machen wir uns nichts vor: "Texas Chainsaw Massacre" ist ein Film der unter besonders preiswerten wie schwierigen Umständen entstanden ist. Entsprechend gab es in den Kinos und später auch auf Video kaum Material, das auch nur ansatzweise an einen richtigen Filmeindruck heranreichte. "Texas Chainsaw Massacre" war immer ein sehr schmuddelig und matschig aussehender Film - ein technische Unzulänglichkeit, die später zum Stilmittel des so genannten "Grindhouse"-Kino erhoben wurde. Das schmuddelige Thema wurde eben in dem schmuddeligen Look des Films reflektiert. Doch letztlich handelt es sich hier tatsächlich einfach, um das (glückliche) Zusammenkommen widriger Umstände. Dies beweist dieser neue HD-Transfer mit einem dicken Ausrufezeichen! Ausgehend vom originalen Negativ-Material liefert die Blu-ray ein derart stellares Bild, dass man sich die Augen reiben muss. Schärfe und Kontrast bringen das Filmmaterial detailreich zum Leuchten und zeigen erstmals wie wirklich gut der damalige Kamera-Novize Daniel Pearl (der ebenfalls das Remake von Marcus Nispel schoss) gearbeitet hat. Dennoch wird einem hier nicht steriler Pixar-Glanz serviert. Das Film-Feeling, einschließlich des dazugehörigen aber niemals ablenkenden Filmkorns, wird einfach wahnsinnig gut übertragen. Die Farben und Details sind stabil und sogar kräftig und geben den geradezu neorealisten Stil des Films sehr gut wieder. Der Schwarzlevel ist ebenfalls sehr gut und die Kompression bleibt unsichtbar. HIer kann man tatsächlich "Texas Chainsaw Massacre" wie noch nie zuvor erleben. Sehr gut.
TON
Der Ton ist in allen Varianten sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch vertreten. Neben dem neu gemasterten DTS-HD-MA 5.1 Ton sind auch der originale Monoton (in DD 2.0) als in Englisch auch ein Stereotrack vorhanden. In beiden Fällen ist das Ergebnis mehr als erstaunlich und öffnet die Soundstage auf angenehme Weise. Besodners der irritierende Soundtrack legt sich gut über die gesamte Soundstage. Aber auch die gute räumliche wurden bestens bedacht, ohne eine künstliche Direktionalität zu suggerieren. So sind die Stimmen im Haus des Großvaters hübsch verteilt, während sich Franklin alleine im Erdgeschoss befindet. Oder der Auftritt der Spinnen, der sich zunächst nur über den Background ankündigt. Und selbstverständlich das Knattern der titelgebenden Säge in der Nacht. Die Dialoge sitzen ansonsten sicher im Centerkanal. Störende Überlappungen oder Aussetzer konnten nicht festgestellt werden. Gut.
EXTRAS
Bei den Extras hat Turbine Medien absolut in die vollen gegriffen und tatsächlich alle verfügbaren Extras zu "Texas Chainsaw Massacre" zusammengetragen und noch mit eigenen ergänzt. Neben der Blu-ray liegt entsprechend auch eine DVD des Films mit bei.
Den Film selbst begleiten gleich zwei Audiokommentare: auf dem ersten Track sprechen Regisseur Tobe Hooper, Kameramann Daniel Pearl und "Leatherface"-Darsteller Gunnar Hansen über die einzigartige Erfahrung, unter den extremen wie heißen Bedingungen des Sommers von 1973 in Texas diesen Film geschaffen zu haben. Neben viel Galgenhumor gibt es viele spannende Details über die Dreharbeiten und die Ein- und Ansichten der Filmemacher zu hören. Ein sehr guter Track. Auf dem zweiten Track sind die Schauspieler Marilyn Burns, Paul A. Partain, Allen Danziger sowie Art Director Robert A. Burns zu hören. Wie kaum ein anderer hat vor allem Burns den Eindruck von "Texas Chainsaw Massacre" mit seinen ausgefallen Set-Dekorationen beeinflusst. Gemeinsam mit den drei Schauspielern durchlebt er nochmals die Strapazen des Drehs und verrät viel über die Hintergründe seiner ausgefallen Ausstattung. Aber auch die drei Schauspieler erleben den Film noch einmal neu und haben auch Spaß, sich an den "kreativen Irrsinn" zu erinnern. Besonders der inzwischen verstorbene Paul Partain alias Nervensäge "Franklin" bekommt hier ausgiebig Gelegenheit, sich zu rehabilitieren. Ebenfalls ein unverzichtbarer Track mit großartigen wie unterhaltsamen Hintergrund-Informationen.
Insgesamt drei lange Dokumentationen führen hinter die Kulissen des notorischen Films und lassen so ziemlich alle Beteiligten zu Wort kommen. Der Klassiker ist hier "The Shocking Truth" - die spielfilmlange Dokumentation (ca. 74 Min.) wurde bereits mehrfach und auch einzeln veröffentlicht und darf hier natürlich nicht fehlen. Hier handelt es sich am ehesten um ein "Making of" der etwas anderen, aber vor allem intensiveren Art. Unzensiert und mit einer ordentlichen Portion Selbstkritik kommt hier nicht nur das originale "Texas Chainsaw Massacre" auf den Seziertisch, sondern auch die von weitaus anderen Schwierigkeiten geplagten "Chainsaw"-Fortsetzungen.
Mit "Flesh Wounds" (ca. 72 Min.) zeigt sich die neueste "Chainsaw" Dokumentation aus dem renommierten Produktionshaus Red Shirt Pictures auf der Scheibe. Hier gibt es sieben Episoden zu teilweise peripheren Chainsaw-Themen zu sehen. Die Hauptanteile haben hier aber Kameramann Daniel Pearl, der "Hitchhiker" Ed O'Neil und "Leatherface" Gunnar Hansen. Dazu gibt es auch noch ein wenig über das Chainsaw House und die Fans auf den Conventions zu sehen.
Die dritte Dokumention "TCM - A Family Portrait" füllt schließlich noch die letzten Lücken auf. Hier dürfen die vier Chainsaw-Familienmitglieder ihre ganz persönliche Meinung zum Film und ihre liebsten Erinnerungen loswerden: Jim Siedow, Edwin O'Neal, Gunnar Hansen und John "Grandpa" Dugan nehmen kein (Säge)Blatt vor den Mund und liefern 60 Minuten lang eine berauschende Rekapitulation ihrer persönlichen Beziehung mit dem Phänomen "Texas VChainsaw Massacre".
"Off the Hook" (ca. 16 Min.) zeigt schließlich ein Interview mit der letzten "verschollenen" Akteurin des Films: Teri McmInn berichtet hier von ihrer Erfahrung als berühmtes Chainsaw-Fleischerfhaken-Opfer und dass Sie sich doch nun endlich zu dem Film und seinen Qualitäöten bekennt. Bravo.
Zum Film selbst gibt es schließlich noch eine wilde Zusammenstellung aus geschnitten Szenen, bzw. erweitereten alternativen Takes, die auch ein wenig mehr vom ersten Hammerangriff von Leatherface und dem Ableben des Hitchhikers sowie den ausgebuddelten Leichen auf dem Friedhof zeigen.
Dazu kommen noch verschiedene Trailer, einschließlich dem originalen deutschen Trailer sowie TV- und Radio-Spots. Eine Bildergalerie mit Werbematerial ist ebenfalls noch vorhanden.
Für die deutschen Zuschauer gibt es noch die zweistündige Diskussionsrunde zum Thema Horrorfilm und Zensur mit Regisseur Jörg Buttgereit (Nekromantik"), Dr. Roland Seim , Dr. Stefan Höltgen und "TCM"-Produktmanager Christian Bartsch zu sehen. Was eigentlich nach einer drögen Veranstaltung klingt, kann aber doch durch einigen Witz besonders seitens Buttgereits gewinnen. Inhaltlich kreist hier alles von Rezeptions-Theorie über konkrete Filmanalysen bis zur Zensurrealität in Deutschland - insgesamt ein großartiger und unterhaltender Rundumschlag, der für Einsteiger vielleicht schon etwas zu viel Info bietet. Was aber vor der Kamera noch ein wenig gestelzt wirkt, kommt dafür in dem umfassenden Booklet zur Zensurgeschichte von "Texas Chainsaw Massacre" - "Die Akte TCM" - weitaus besser zur Geltung. Vorbildlich und kompakt - mit irrwitzigen Original-Auszügen aus Urteilen und Bewertungen - ist das Booklet eine absolute Pflichtlektüre in Sachen Jugendschutzzensur in Deutschland und was dort komplett falsch wie eigentlich rechtswidrig läuft. Hier darf man sich in Ehrfurcht verneigen. Das große Lob gehört hier definitiv Turbine, die auch dafür die Extrameile in Kauf genommen haben! Da bleibt nur zu hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht.
FAZIT
Mal abgesehen davon, dass der endgültige Freispruch für "Texas Chainsaw Massacre" eine (film)historische Bedeutung fundamentaler Tragweite ist, liefert Turbine Medien hier wirklich die absolute Krönung einer Special Edition ab. Abgesehen von der (vergleichsweise) herrlichen Qualität des Filmtransfers und so ziemlich allen je produzierten Extras zum Film, ist das das Booklet "Die Akte TCM" eine kleine Pflichtlekture in Sachen deutscher Zensur und Zensur-Rechtsprechung. Auch wenn ihr den Film (jetzt nicht mehr illegaler Weise) bereits im Regal stehen habt, ist diese Edition verpflichtend für jeden Genrefans. Ein Muss, ohne wenn und aber. Danke, Turbine!